Bibelstimme

Warum selbst fromme Absichten Spaltung säen können!

Warum selbst fromme Absichten Spaltung säen können!

Der Streit in der Chris­ten­heit über Lehr­fra­gen, Dog­men und Bibel­aus­le­gung ist so alt wie die Kir­che selbst, aber er ist kei­nes­wegs nur ein Relikt der Ver­gan­gen­heit. Auch heu­te ent­zün­det sich in Gemein­den und theo­lo­gi­schen Dis­kus­si­ons­krei­sen immer wie­der die Fra­ge, wer die Wahr­heit rich­tig ver­stan­den hat. Dass dies kein Zufall ist, liegt dar­an, dass es zwei gegen­sätz­li­che Ten­den­zen zugleich gibt: Auf der einen Sei­te ste­hen ech­te Irr­leh­rer, die das Evan­ge­li­um ver­fäl­schen und Men­schen von Chris­tus weg­füh­ren. Die­se gilt es zu erken­nen, um geist­li­chen Scha­den abzu­wen­den. Auf der ande­ren Sei­te aber fin­den sich unzäh­li­ge Lehr­strei­tig­kei­ten, die für das Heil kei­ne zen­tra­le Rol­le spie­len. Sie dre­hen sich um Rand­fra­gen, die nicht den Kern des Evan­ge­li­ums betref­fen. Hier wäre eine Hal­tung der Gelas­sen­heit und des Respekts ange­bracht – das Bewusst­sein, dass Gott grö­ßer ist als mensch­li­che Sys­te­ma­tik und dass es zuläs­sig ist, unter­schied­li­che Schwer­punk­te zu haben, solan­ge Chris­tus der Mit­tel­punkt bleibt.

Die wichtigsten und gefährlichsten Irrlehren

  • Leug­nung der Mensch­wer­dung Jesu Chris­ti
    → Behaup­tung: Jesus sei nicht wirk­lich Mensch gewor­den.
    → Gefahr: Ver­neint die Inkar­na­ti­on (Fleisch­wer­dung Got­tes) und damit die Erlö­sung durch das Kreuz.
  • Leug­nung der Gott­heit Jesu Chris­ti
    → Behaup­tung: Jesus sei nur ein Pro­phet oder Leh­rer, nicht wahr­haft Gott.
    → Gefahr: Ent­zieht dem Evan­ge­li­um sei­ne Grund­la­ge – nur Gott selbst kann ret­ten.
  • All­ver­söh­nungs­leh­re (Uni­ver­sa­lis­mus)
    → Behaup­tung: Am Ende wer­den alle Men­schen ohne Aus­nah­me geret­tet.
    → Gefahr: Rela­ti­viert Kreuz und Gna­de, nimmt den Ernst der Sün­de und der Umkehr.
  • Werk­ge­rech­tig­keit
    → Behaup­tung: Heil wird durch eige­ne Wer­ke, Geset­ze oder Leis­tun­gen erlangt.
    → Gefahr: Führt in Gesetz­lich­keit und Stolz, nimmt Chris­tus die zen­tra­le Rol­le.
  • Wohl­stands­evan­ge­li­um
    → Behaup­tung: Glau­be garan­tiert mate­ri­el­len Erfolg und Gesund­heit.
    → Gefahr: Ver­fälscht das Evan­ge­li­um, ver­drängt Leid und Nach­fol­ge.
  • Rela­ti­vis­mus / Syn­kre­tis­mus
    → Behaup­tung: Alle Reli­gio­nen füh­ren glei­cher­ma­ßen zu Gott.
    → Gefahr: Ver­neint die Ein­zig­keit Chris­ti als Weg zum Vater.
  • Leug­nung der Auf­er­ste­hung Jesu Chris­ti
    → Behaup­tung: Jesu Auf­er­ste­hung sei nur sym­bo­lisch oder meta­pho­risch.
    → Gefahr: Nimmt dem Glau­ben sei­ne Hoff­nung und Kraft.

Es gibt vie­le The­men, die Chris­ten unter­schied­lich sehen und die kei­ne Irr­leh­ren sind, son­dern Rand­fra­gen oder Fra­gen der per­sön­li­chen Fröm­mig­keit. Sie berüh­ren nicht das Zen­trum des Evan­ge­li­ums (Jesus Chris­tus, sein Kreuz und sei­ne Auf­er­ste­hung).

Beispiele für Randfragen, die keine Irrlehren sind

  • Fest­ta­ge und Tra­di­tio­nen
    Ob man Weih­nach­ten, Ostern oder ande­re Fes­te fei­ert – oder bewusst nicht.
  • Spei­se­vor­schrif­ten
    Vege­ta­risch, koscher, vegan oder „alles essen“ – Pau­lus betont in Römer 14, dass dies Glau­bens­frei­heit ist.
  • Tauf­pra­xis
    Kin­der­tau­fe oder Glau­bens­tau­fe, ein­mal unter­tau­chen oder über­gie­ßen – unter­schied­li­che Tra­di­tio­nen, aber kei­ne Ver­fäl­schung des Evan­ge­li­ums.
  • Abend­mahls­ver­ständ­nis
    Sym­bo­lisch, geist­lich real oder sakra­men­tal – ver­schie­de­ne Deu­tun­gen, aber alle beken­nen Chris­tus als den Gast­ge­ber.
  • Geist­li­che Gaben
    Ob man glaubt, dass bestimm­te Gaben (z. B. Zun­gen­re­de, Hei­lun­gen) heu­te noch prak­ti­ziert wer­den oder nicht.
  • Gemein­de­for­men
    Haus­ge­mein­de, gro­ße Kir­che, freie Wer­ke – Viel­falt, aber kei­ne Irr­leh­re.
  • Rol­len­ver­ständ­nis
    Frau­en als Pas­to­rin­nen oder nicht – eine Fra­ge der Aus­le­gung, nicht des Heils.
  • Kul­tu­rel­le Fra­gen
    Klei­dung, Musik­sti­le im Got­tes­dienst, Umgang mit Lite­ra­tur oder Fil­men (z. B. Har­ry Pot­ter).
  • Sexu­al­ethi­sche Fra­gen
  • Unter­schied­li­che Sicht­wei­sen zu Ehe, Part­ner­schaft, Schei­dung oder Homo­se­xua­li­tät – oft kon­tro­vers dis­ku­tiert, aber nicht auto­ma­tisch Irr­leh­re, solan­ge Chris­tus und sei­ne Gna­de im Zen­trum blei­ben.

Das größ­te Hin­der­nis besteht in der Fähig­keit, zwi­schen die­sen bei­den Berei­chen zu unter­schei­den. Für eini­ge Chris­ten ist alles erlaubt, solan­ge jemand an Jesus glaubt, wäh­rend ande­re selbst kleins­te Abwei­chun­gen als Zei­chen von Irr­leh­re betrach­ten. Man­che mes­sen Fröm­mig­keit dar­an, ob jemand säku­la­re Lite­ra­tur liest, Fei­er­ta­ge begeht, bestimm­te Spei­se­vor­schrif­ten hält oder ver­wirft, sich auf eine bestimm­te Art tau­fen lässt oder es gar nicht tut. Über die Akti­vi­tät des Hei­li­gen Geis­tes nach den Apos­teln, die Bedeu­tung des Abend­mahls, die Solas der Refor­ma­ti­on, die Beru­fung von Frau­en oder die Sicht auf Sexua­li­tät wird gestrit­ten, als hin­ge das Heil selbst dar­an. In vie­len evan­ge­li­ka­len Krei­sen exis­tiert die Über­zeu­gung, dass zu jedem die­ser Punk­te eine kla­re und unum­stöß­li­che Wahr­heit in der Bibel zu fin­den sei. Wer abweicht, steht außer­halb der Gna­de.

Die­se Hal­tung ent­springt weni­ger einem bösen Wil­len als viel­mehr dem Wunsch nach Sicher­heit. Der Gedan­ke, dass der eige­ne Glau­be nicht voll­um­fäng­lich rich­tig sein könn­te, bedroht das inne­re Gleich­ge­wicht. Vie­le fürch­ten, dass das Infra­ge­stel­len eige­ner Über­zeu­gun­gen den Boden unter den Füßen weg­zieht. So wird aus Gewiss­heit Hoch­mut, aus Über­zeu­gung Recht­ha­be­rei. Vie­le dog­ma­ti­sche Chris­ten beru­fen sich auf Bibel­ver­se, die sie rauf und run­ter zitie­ren, als wären sie Schutz­schil­de, doch sie ver­ges­sen, dass die­se Ver­se zur Lie­be und nicht zur Über­heb­lich­keit füh­ren sol­len. Und gera­de dort, wo Lie­be durch Über­heb­lich­keit ver­drängt wird, erscheint es beque­mer, sich als Ver­tei­di­ger der abso­lu­ten Wahr­heit zu sehen, als zu erken­nen, dass geist­li­che Erkennt­nis Stück­werk bleibt.

Der Apos­tel Pau­lus erin­nert dar­an: „Wir erken­nen stück­wei­se und wir weis­sa­gen stück­wei­se“ (1. Korin­ther 13,9). Die­se Ein­sicht ruft zur Demut.

Der Kate­chis­mus hat sei­nen Wert, weil er Glau­bens­in­hal­te ord­net und Ori­en­tie­rung bie­tet. Doch er darf nicht zum Werk­zeug wer­den, um ande­re nie­der­zu­drü­cken. Die Geschich­te der Kir­che zeigt, dass die Fixie­rung auf dog­ma­ti­sche Details zu immer neu­en Spal­tun­gen führt. Wenn Tole­ranz als Sün­de gilt, bleibt nur der Weg der Tren­nung. So ent­ste­hen unzäh­li­ge Kon­fes­sio­nen, jede mit dem Anspruch, die ein­zig wah­re Theo­lo­gie zu ver­tre­ten. Iro­ni­scher­wei­se geschieht dies oft aus „guter Absicht“ – man will der Bibel treu blei­ben, Irr­tü­mer kor­ri­gie­ren, das Heil bewah­ren. Doch hin­ter der Mas­ke die­ser Fröm­mig­keit ver­birgt sich häu­fig das Bedürf­nis nach Kon­trol­le, Macht oder intel­lek­tu­el­ler Über­le­gen­heit. Wer auf die­se Wei­se glaubt, dient nicht der Wahr­heit, son­dern sich selbst.

“Wo Dog­men über Chris­tus gestellt wer­den, ent­steht Spal­tung – und aus ver­meint­li­cher Wahr­heits­lie­be wird geist­li­cher Stolz.”

Ein wei­te­rer Fak­tor ist die man­geln­de Bereit­schaft zur Selbst­prü­fung. Ich habe ver­sucht, Chris­ten dazu zu bewe­gen, über die Grund­la­gen ihres Glau­bens nach­zu­den­ken. War­um hal­te ich mei­ne Aus­le­gung der Schrift für gül­ti­ger als die ande­rer? Wel­che Ängs­te, wel­che Bedürf­nis­se oder mensch­li­chen Struk­tu­ren prä­gen mein Got­tes­bild? Doch die­se Fra­gen sto­ßen meist auf Ableh­nung. Vie­le reagie­ren mit Abwehr oder Unver­ständ­nis. Die Ein­la­dung, den eige­nen Glau­ben ein­mal von außen zu betrach­ten, wird als Angriff gedeu­tet. Dabei for­dert uns die Bibel selbst dazu auf: „Prüfet alles, und das Gute behal­tet“ (1. Thes­sa­lo­ni­cher 5,21). Wah­re geist­li­che Rei­fe zeigt sich im Mut, sich selbst prü­fen zu las­sen. Wer sich selbst von der geist­li­chen Prü­fung aus­schließt, der ver­schließt zugleich die Tür zur wah­ren Erkennt­nis, weil er die Stim­me des Geis­tes nicht mehr hören will.

Wenn Men­schen jedoch das Den­ken ein­stel­len, um ihren Glau­ben zu schüt­zen, ver­feh­len sie genau das Ziel, das sie zu wah­ren mei­nen. Glau­be ist kein star­res Sys­tem, son­dern eine leben­di­ge Bezie­hung zu Gott. Die­se Bezie­hung erträgt Fra­gen, Zwei­fel und Ent­wick­lung. Recht­ha­be­rei tötet geist­li­ches Leben, eben­so wie Into­le­ranz die Lie­be erstickt. Jesus selbst hat Men­schen nie nach ihren theo­lo­gi­schen Fein­hei­ten beur­teilt, son­dern nach ihrer Her­zens­hal­tung. Die Pha­ri­sä­er hat­ten Schrift­kennt­nis, aber kei­ne Lie­be. Dies soll­te eine Mah­nung an die heu­ti­ge Kir­che sein.

“Recht­ha­be­rei tötet das geist­li­che Leben, weil Jesus nicht Schrift­kennt­nis, son­dern Lie­be zum Maß­stab macht.”

Christ­li­cher Glau­be darf nicht zur Büh­ne mensch­li­cher Über­heb­lich­keit wer­den. Huma­ni­tas – Demut – war immer das Kenn­zei­chen wah­rer Jün­ger­schaft. „Wer sich selbst erhöht, der wird ernied­rigt wer­den; und wer sich selbst ernied­rigt, der wird erhöht wer­den“ (Mat­thä­us 23,12). Die­se Wor­te Jesu sind ein Spie­gel, in den wir alle schau­en müs­sen. Nur wer sich sei­ner eige­nen Begrenzt­heit bewusst ist, kann die Anders­ar­tig­keit des ande­ren respek­tie­ren. Geist­li­che Ein­heit bedeu­tet nicht Mei­nungs­gleich­heit, son­dern gemein­sa­me Aus­rich­tung auf Chris­tus. Doch wehe, wenn wir unse­re Begrenzt­heit ver­ges­sen und mei­nen, über ande­re rich­ten zu kön­nen – dann wird Ein­heit zer­stört und Lie­be erstickt. Geist­li­che Ein­heit lebt von Demut; wer sie durch Recht­ha­be­rei ersetzt, ver­rät Chris­tus selbst.

Solan­ge Chris­ten mehr Ener­gie dar­auf ver­wen­den, ihren Stand­punkt zu ver­tei­di­gen, als gemein­sam zu beten, zu die­nen und die Lie­be zu leben, wird der Leib Chris­ti zer­ris­sen blei­ben. Ein­heit ent­steht nicht durch Zwang, son­dern durch Lie­be, nicht durch Selbst­ge­rech­tig­keit, son­dern durch gegen­sei­ti­ge Gna­de. Der Apos­tel Pau­lus mahnt: „Bemüht euch sehr dar­um, die Ein­heit, die der Geist Got­tes gewirkt hat, durch das Bin­de­mit­tel des Frie­dens zu bewah­ren.“ (Ephe­ser 4,3). Solan­ge wir mei­nen, Ein­heit durch Kon­trol­le oder durch das Durch­set­zen eige­ner Wahr­hei­ten erzwin­gen zu kön­nen, wer­den wir schei­tern. Wah­re Ein­heit wächst nicht aus Macht, son­dern aus Demut. Sie ent­steht dort, wo Chris­ten bereit sind, ihre eige­nen Gren­zen zu erken­nen und den ande­ren in sei­ner Ver­schie­den­heit ste­hen­zu­las­sen. Chris­tus allein ist das Haupt – nicht mensch­li­che Ansich­ten oder theo­lo­gi­sche Kon­struk­te.

Wer meint, auf der Sei­te der Wahr­heit zu ste­hen, indem er unauf­hör­lich auf sei­ne Bibel­treue und den Urtext ver­weist, läuft Gefahr, Chris­tus selbst aus dem Blick zu ver­lie­ren. Denn so wich­tig die Bibel ist – noch wich­ti­ger ist die Lie­be, die sie bezeu­gen will.

Wo Lie­be fehlt, wird selbst die Bibel zum Werk­zeug des Stol­zes. Wer sich hin­ter Schrift­kennt­nis ver­schanzt, aber die Lie­be ver­nach­läs­sigt, ver­rät den Geist, der die Schrift leben­dig macht. Pau­lus erin­nert: ‚Wenn ich alle Geheim­nis­se wüss­te und alle Erkennt­nis hät­te, hät­te aber die Lie­be nicht, so wäre ich nichts‘ (1. Korin­ther 13,2).

“Dar­um gilt: Wahr­heit ohne Lie­be ist kei­ne Wahr­heit, son­dern ein Schat­ten, der Chris­tus ver­deckt.”

Möge die­ser Geist wie­der Raum gewin­nen – in den Her­zen derer, die mei­nen, allein im Besitz der Wahr­heit zu sein, und in denen, die ver­lernt haben, zuzu­hö­ren. Wah­rer Glau­be wächst nicht in der Enge des Dog­mas, son­dern in der Wei­te gött­li­cher Barm­her­zig­keit. Denn nur dort, wo Lie­be grö­ßer ist als Recht­ha­be­rei, wo Demut stär­ker ist als Stolz und wo Chris­tus über mensch­li­che Sys­te­me gestellt wird, kann Ein­heit ent­ste­hen. Die Kir­che wird nicht durch Mau­ern bewahrt, son­dern durch offe­ne Her­zen, die sich von Got­tes Geist lei­ten las­sen. So wird sicht­bar: Wahr­heit ohne Lie­be bleibt leer, doch Lie­be in der Wahr­heit trägt das Sie­gel des Him­mels. Amen.

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